2. Februar 2020
„Ich habe gelernt, dass man nie zu klein dafür ist, einen Unterschied zu machen.“ – Dies ist zweifelsohne der meistzitierte Satz der schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg [1]. In der Zellbiologie gibt es wohl kaum eine passendere Aussage, um die Wichtigkeit von Mitochondrien zu unterstreichen.
Mitochondrien sind wenige Mikrometer große Zellbestandteile, die insbesondere als Kraftwerke der Zelle bekannt sind. Ihre Fähigkeit die Energiewährung der Zelle, das sogenannte Adenosintriphosphat, kurz ATP, herzustellen, ist jedoch bei weitem nicht ihre einzige und im Grunde auch nicht ihre wichtigste Aufgabe. Fangen wir jedoch von vorne an.
Eine eukaryotische Zelle, also eine Zelle mit echtem Zellkern, beinhaltet verschiedene durch eine Lipidmembran abgetrennte Reaktionsräume, sogenannte Kompartimente. Eine ausführlichere Beschreibung der Zelle und der Kompartimente findet sich im Artikel „Aufbau einer Zelle“. Mitochondrien sind im Grunde eines dieser Kompartimente, weisen allerdings verschiedene Besonderheiten auf: da sie ursprünglich eigenständige Bakterien waren, sind Mitochondrien von zwei Membranen umgeben, besitzen ihr eigenes Erbgut (mitochondriale DNA) und vermehren sich innerhalb der Zelle durch Teilung. Mehr Informationen zu diesem Thema gibt es im Artikel „Endosymbiontentheorie“.
In diesem Artikel sollen Mitochondrien als Kraftwerke und Netzwerke der Zelle genauer beschrieben werden.
Mitochondrien werden in vielen Lehrbüchern wie eine Kaffeebohne dargestellt, um ihren Aufbau zu beschreiben: die innere mitochondriale Membran umhüllt die mitochondriale Matrix, in der sich unter anderem das eigene Genom des Mitochondrions befindet. Die äußere mitochondriale Membran umhüllt die innere Membran und schließt somit einen Raum zwischen beiden Membranen ein, der Intermembranraum genannt wird [2, 3]. Da die innere Membran die Enzymkomplexe zur Herstellung der Energie in Form von ATP beherbergt, stülpt sie sich in die Matrix des Mitochondrions ein, um ihre Oberfläche und damit den Platz für diese Enzymkomplexe zu vergrößern. Diese Einstülpungen werden Cristae genannt [4]. Aufgrund der Eigenschaft die Energie der Zelle zu produzieren, werden Mitochondrien als Kraftwerke der Zelle bezeichnet. Hierbei stellt sich die Frage: um was für ein Kraftwerk handelt es sich? In den meisten Köpfen und auch auf den meisten Abbildungen für Mitochondrien als Kraftwerke sind rauchende Schlote abgebildet. Ganz so, als würde das Mitochondrion irgendeinen fossilen Energieträger in der Zelle ausbuddeln und verbrennen, um Energie zu erzeugen, dabei jedoch leider eine hohe Zahl von Abgasen in die Zelle pusten. Und wenn der fossile Energieträger aufgebraucht ist, wird also keine Energie mehr produziert?
Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist die Energieerzeugung eines Mitochondrions viel besser mit der eines Wasserkraftwerks vergleichbar.Bei einem Wasserkraftwerk wird Wasser durch eine Staumauer zurückgehalten und anschließend die Bewegungsenergie des abfließenden Wassers auf eine Turbine oder ein Wasserrad übertragen. Die dadurch in Bewegung versetzte Turbine treibt wiederum einen elektrischen Generator an, der die mechanische in elektrische Energie umwandelt. Mitochondrien nutzen ein vergleichbares Verfahren. Die Rolle der Staumauer übernimmt dabei die innere mitochondriale Membran und staut positiv geladene Wasserstoff-Ionen, sogenannte Protonen (H+) im Intermembranraum an. Dadurch entsteht ein Protonengradient. Die Turbine ist in diesem Fall das Enzym ATP-Synthase. ATP-Synthase besteht aus einem Protonenkanal, durch den die im Intermembranraum angestauten Protonen in die Matrix gelangen, und einem daran angeschlossenen Enzymkomplex, der den Energieträger ATP herstellt. Auf diese Weise wird der energetisch günstige Protonentransport mit der energiebenötigenden ATP-Produktion gekoppelt [5, 6]. Wie werden aber die Protonen im Intermembranraum angestaut?
Hierfür sind vier große mitochondriale Enzyme in der inneren mitochondrialen Membran zuständig, die die Atmungskette bilden. Zusammen mit den Wasserstoff- bzw. Elektronenüberträgern Ubichinon (Coenzym Q) und Cytochrom c formieren die Atmungsketten-Komplexe I bis IV eine Elektronentransportkette, bei denen negativ geladene Elektronen auf molekularen Sauerstoff übertragen werden, welcher dadurch zu Wasser reduziert wird. Die Elektronen stammen aus Stoffwechselprodukten, die beim Abbau von Fettsäuren oder Aminosäuren entstehen. Während dieses Prozesses werden Protonen in den Intermembranraum gepumpt. Die Protonen treiben dann die zuvor erwähnte ATP-Synthase an, die auch als Komplex V bezeichnet wird, und der allgemeine Energieträger der Zelle ATP wird hergestellt. Zusammen werden beide Prozesse als oxidative Phosphorylierung bezeichnet [5]. Für eine detailliertere und anschauliche Darstellung empfiehlt sich eine Suche auf Youtube.
Schematische Darstellung der mitochondrialen Atmungskette
Die vier großen Atmungsketten-Komplexe I bis IV bilden eine Elektronentransportkette, über die molekularer Sauerstoff zu Wasser reduziert wird. Währenddessen werden Protonen (H+) in den Intermembranraum gepumpt, die das Enzym ATP-Synthase (Komplex V) antreiben; dieses produziert ATP.
(Die Elektronenüberträger Ubichinon und Cytochrom c sind nicht dargestellt.)
An den Komplexen I und III entstehen reaktive Sauerstoffspezies, die mitochondrialen und zellulären Makromolekülen Schaden zufügen können.
Auch das Mitochondrien-Kraftwerk kommt nicht ohne den Ausstoß von Abgasen aus. Als Nebenprodukte der Atmungskette entstehen sogenannte reaktive Sauerstoffspezies (reactive oxygen species, ROS). Diese werden gebildet, wenn der molekulare Sauerstoff nicht vollständig zu Wasser reduziert wird und umfassen Superoxidanionen, Hydroxyl-Radikale und stabile molekulare Oxidantien wie Wasserstoffperoxid [7]. Von etwa 1-2% der Gesamtmenge des konsumierten Sauerstoffs entstehen an den Komplexen I und III der Atmungskette Superoxidanionen, die zu anderen Sauerstoffspezies umgewandelt werden können [8]. Mehrere Enzyme und Moleküle wirken als Antioxidantien und setzen ROS in weniger reaktive Moleküle um. Eine Auslenkung des zellulären Gleichgewichts zwischen antioxidativen und oxidativen Vorgängen zu Gunsten erhöhter ROS-Spiegel wird als oxidativer Stress bezeichnet [9]. ROS können die Schädigung intra- und extrazellulärer Moleküle hervorrufen, wie beispielsweise DNA, Proteine oder Lipide. Auf der anderen Seite wirken ROS aber auch als wichtige Signalmoleküle innerhalb der Zelle. Es ist äußerst wichtig, dass die mitochondriale Atmungskette gut reguliert wird. Zahlreiche Krankheiten können auf Defekte in den Atmungsketten-Komplexen zurückgeführt werden; viele Hemmstoffe der Atmungskette führen zum Tod. Die Regulierung der Atmungskette birgt jedoch einige Herausforderungen: die Proteinkomplexe der Atmungskette bestehen insgesamt aus über 100 Proteinen. Die mitochondriale DNA enthält jedoch nur die Informationen für 13 Proteine. Diese 13 Proteine sind Bestandteil der Atmungsketten-Komplexe, außer Komplex II, und werden in der mitochondrialen Matrix hergestellt. Die Informationen für alle anderen Proteine der Atmungskette liegen auf dem Erbgut im Zellkern, werden im Cytosol hergestellt und anschließend über große Enzymkomplexe in das Mitochondrion importiert. Diese Enzymkomplexe liegen in der äußeren und inneren mitochondrialen Membran und fungieren als Schleusen. Damit die Atmungskette richtig funktioniert, müssen also Proteine koordiniert werden, die sowohl aus dem Cytosol in das Mitochondrion eingeschleust werden, als auch Proteine, die im Mitochondrion selbst hergestellt werden [10]. Alle Proteine müssen in der richtigen Anzahl vorliegen und setzen sich anschließend zu den Komplexen der Atmungskette zusammen.
Es ist sehr verwunderlich, dass von den über 1000 Proteinen, die eine Funktion in Mitochondrien übernehmen, gerade einmal 13 Proteine in den Mitochondrien selbst hergestellt werden und ihren Ursprung auf der mitochondrialen DNA haben [11]. Die mitochondriale DNA war überhaupt erst einer der entscheidenden Anhaltspunkte für die Endosymbiontentheorie und Ausgang für die Zuordnung von Mitochondrien zu α-Proteobakterien [12-14]. Im Laufe der Evolution wurden große Teile des mitochondrialen Genoms aus den Mitochondrien entfernt und stattdessen in die Chromosomen der Zelle im Zellkern eingefügt. Das bedeutet, 99% aller mitochondrialen Proteine werden im Genom im Zellkern codiert, im Cytosol hergestellt und dann in die Mitochondrien importiert. Darunter sind auch alle nötigen Proteine, um die 13 übrig gebliebenen Gene der mitochondrialen DNA abzulesen und in Proteine zu übersetzen [11]. Die Zelle hat somit die volle Kontrolle, wann und wie viele Proteine die Mitochondrien herstellen. Warum besitzen Mitochondrien überhaupt noch ein eigenes Genom? Oft wird angeführt, dass die 13 mitochondrial hergestellten Proteine besonders schwierig in die innere Membran eingebracht und in die großen Enzymkomplexe der Atmungskette integriert werden können. Es sei einfacher, diese Proteine in der mitochondrialen Matrix herzustellen, weil ein Import aus dem Cytosol in die Mitochondrien mit anschließendem Einbau in die Atmungsketten-Komplexe schlicht unmöglich sei [15]. Bei genauerer Betrachtung lässt sich diese Hypothese jedoch nicht halten. Es gibt einige andere Proteine, deren Einbau in Enzymkomplexe ebenso schwierig ist, die aber im Cytosol hergestellt und importiert werden. Eine andere Theorie kann die Existenz der verbleibenden mitochondrialen DNA sehr viel befriedigender erklären: die 1993 aufgestellte CoRR-Hypothese (co-location for redox regulation). Demnach haben Mitochondrien (und übrigens auch Plastide) Reste ihres eigenen Genoms behalten, damit einzelne Mitochondrien die Aktivität ihrer Atmungsketten-Komplexe direkt steuern können. Auf diese Weise können sie das Redox-Gleichgewicht regulieren, also das Gleichgewicht zwischen Elektronentransport zur Reduktion von Sauerstoff zu Wasser und der Bildung schädigender ROS, was langfristig die Funktionalität des Mitochondrions erhält [16, 17]. Die CoRR-Hypothese sagt gleichzeitig voraus, dass in Lebewesen, die im Laufe der Evolution zur ATP-Erzeugung andere Stoffwechselvorgänge als die mitochondriale Atmung nutzen, auch die mitochondriale DNA keinen Nutzen mehr hat und aus diesem Grund verschwindet. Genau dies ist nachweislich in vier unabhängigen Abstammungslinien von Lebewesen geschehen [14].
Die Aufnahme eines α-Proteobakteriums in eine prokaryotische Zelle aus der Domäne der Archaea gab den Startschuss für die Entwicklung eukaryotischer Zellen [14, 18]. Ein Vergleich der Sequenzen mitochondrialer DNA verschiedener eukaryotischer Lebewesen zeigt, dass dieses Ereignis einmalig in der Evolution eukaryotischer Zellen geschah. Somit stammen alle heutigen Mitochondrien vom gleichen α-Proteobakterium-Vorfahren ab; alle eukaryotischen Zellen teilen sich eine gemeinsame Urzelle, die LECA (Last Eukaryotic Common Ancestor) genannt wird [19]. Daraus ergibt sich gleichzeitig, dass jedes eukaryotische Lebewesen Mitochondrien besitzt oder besaß und sie später verloren hat [20]. Wie funktioniert das?
Mitochondrien sind vor allem für ihre Funktion als zelluläre Kraftwerke bekannt, die mitochondriale Energiegewinnung ist aber abhängig von Sauerstoff aus der Umgebung. Viele Eukaryoten, vor allem einzellige Lebewesen, die in Lebensräumen ohne Sauerstoff leben, nutzen andere Stoffwechselreaktionen zur Erzeugung von ATP (Anaerobie). Die Herstellung von ATP mittels der mitochondrialen Atmungskette ist in Abwesenheit von Sauerstoff nicht möglich. Als Folge findet man in manchen der anaerob lebenden Eukaryoten keine Mitochondrien. Stattdessen besitzen diese Zellen Hydrogenosomen oder Mitosomen, abgewandelte Formen von Mitochondrien [20, 21].
Hydrogenosomen sind wie Mitochondrien von zwei Membranen umgeben, teilen sich innerhalb der Zelle unabhängig von der zellulären Zellteilung und stellen ATP her. Im Vergleich zu Mitochondrien fehlen Hydrogenosomen allerdings die Enzymkomplexe der Atmungskette und somit auch der Protonengradient über die innere Membran [21]. Im Einklang mit der CoRR-Hypothese besitzen Hydrogenosomen kein eigenes Genom. Ihren Namen erhielten Hydrogenosomen von ihrer Eigenschaft bei der ATP-Erzeugung molekularen Wasserstoff zu bilden [22]. Neben ihrer Funktion als ATP-Erzeuger sind Hydrogenosomen wegen der Herstellung der Eisen-Schwefel-Cluster für die Zelle überlebenswichtig (siehe unten) [21, 23]. Die Hydrogenosomen des Wimperntierchens Nyctotherus ovalis besitzen sogar noch ein kleines Genom, weswegen sie als Zwischenform in der Evolution vom Mitochondrion zum Hydrogenosom angesehen werden [24].
Mitosomen kommen in manchen Einzellern vor, die unter sauerstofflosen oder sauerstoffarmen Bedingungen leben. Wie Mitochondrien und Hydrogenosomen sind Mitosomen von zwei Membranen umgeben, besitzen jedoch keine Enzyme der Atmungskette und keinen Protonengradienten über die innere Membran. Im Gegensatz zu Hydrogenosomen erzeugen Mitosomen keinen molekularen Wasserstoff und auch kein ATP [21, 25, 26]. Es scheint, als würden die Mitosomen allein für ihre überlebenswichtige Funktion bei der Herstellung von Eisen-Schwefel-Clustern in der Zelle erhalten bleiben (siehe unten) [25].
Vergleiche von Proteinen, die in Mitochondrien, Hydrogenosomen und Mitosomen vorkommen, lassen darauf schließen, dass die beiden Letztgenannten stark abgewandelte Mitochondrien sind. Da ursprüngliche Eigenschaften von Mitochondrien bei Hydrogenosomen und Mitosomen nicht mehr vorhanden sind, spricht man auch von einer sekundären Reduktion. Alle Mitochondrien-Funktionen, die nicht überlebenswichtig oder vorteilhaft waren, gingen bei Hydrogenosomen- und Mitosomen-besitzenden Lebewesen mit der Zeit verloren [21].
Die Herstellung von Eisen-Schwefel-Clustern macht Mitochondrien für eukaryotische Zellen überlebenswichtig. Dennoch wurde 2016 erstmals von einem eukaryotischen Einzeller berichtet, der keine Mitochondrien, Hydrogenosomen oder Mitosomen besitzt. Im ganzen Genom des Einzellers Monocercomonoides ließen sich keinerlei mitochondriale Gene finden [27]. Widerlegt dies die Theorie von Mitochondrien als ausschlaggebender Faktor für die Entwicklung eukaryotischer Zellen? Nein. Die Abwesenheit von Mitochondrien oder Mitochondrien-ähnlichen Organellen in Monocercomonoides ist nur die stärkste Form sekundärer Reduktion. Der Einzeller Monocercomonoides benötigt Mitochondrien nicht zur Erzeugung von ATP. Nahe verwandte Arten besitzen deshalb zu Hydrogenosomen oder Mitosomen reduzierte Mitochondrien. Damit Mitochondrien aber vollständig aus der Zelle entfernt werden können, muss die Herstellung von Eisen-Schwefel-Clustern Organell-unabhängig ablaufen. Und genau das ist bei Monocercomonoides geschehen. Durch eine Übertragung von Bakteriengenen (lateraler Gentransfer) erhielt der Vorfahre von Monocercomonoides alle nötigen Komponenten zur Erzeugung von Eisen-Schwefel-Clustern und somit die Unabhängigkeit von ihrer mitochondrialen Erzeugung. Infolgedessen gingen die Mitochondrien im Laufe der Evolution komplett verloren, da sie keinen Nutzen für die Zelle hatten [27].
Mitochondrien beinhalten die Enzyme für einen ausgeklügelten Mechanismus zur Energieerzeugung. Neben der Herstellung von ATP sind Mitochondrien an zahlreichen anderen Prozessen der Zelle beteiligt. Ist die Funktion von Mitochondrien aufgrund von Gendefekten gestört, kann dies eine ganze Reihe von Krankheiten auslösen, darunter Alzheimer, ALS und Parkinson. Außerdem steuern Mitochondrien Vorgänge, die unmittelbaren Einfluss auf die Ausbildung von Krebs haben und den Alterungsprozess beeinflussen [28-30]. Warum haben Mitochondrien einen so großen Einfluss auf die Zelle?
Zum einen finden verschiedenste Stoffwechselvorgänge ganz oder teilweise in Mitochondrien statt. Zum anderen steuern Mitochondrien Vorgänge wie das Puffern der zellulären Calcium-Konzentration, die Regulation von Immunreaktionen oder den programmierten Zelltod (Apoptose). Eine weitere Funktion von Mitochondrien, welche sie überlebenswichtig für jede eukaryotische Zelle macht, ist die Herstellung sogenannter Eisen-Schwefel-Cluster (Fe-S-Zentren) [31]. Unter Eisen-Schwefel-Clustern versteht man Komplexe aus Eisen (Fe)- und Schwefel (S)-Atomen, die Bestandteile von Proteinen und für deren Funktion unerlässlich sind, sogenannte Cofaktoren. Nahezu alle Lebewesen aus allen Domänen des Lebens, also auch prokaryotische Zellen ohne echten Zellkern, enthalten Eisen-Schwefel-Cluster und benötigen sie zum Überleben [32]. In eukaryotischen Zellen kommen Fe-S Proteine im Cytosol, im Zellkern und in Mitochondrien vor, in pflanzlichen Zellen außerdem in Chloroplasten. Fe-S Proteine sind an zahlreichen wesentlichen Prozessen in der Zelle beteiligt, wie beispielsweise der mitochondrialen Atmungskette, lebenswichtigen Stoffwechselwegen oder der Herstellung von Aminosäuren und Proteinen. Zudem spielen sie eine Rolle bei der Translation und bei der Herstellung und Reparatur der DNA. In Pflanzen steuern sie zusätzlich die Photosynthese [31]. Aufgrund der Beteiligung von Fe-S Proteinen an genau diesen Schlüsselprozessen der Zelle, sind sie für ihre Lebensfähigkeit so bedeutend. Die Herstellung von Eisen-Schwefel-Clustern erfordert drei komplexe Maschinerien und die Beteiligung von 30 Proteinen in den Mitochondrien und im Cytosol, die von eukaryotischen Einzellern wie Hefe bis zum Menschen in etwa gleich erhalten geblieben sind. Die Herstellung aller zellulären Fe-S Proteine beginnt in den Mitochondrien und ist somit von ihnen abhängig [31]. Dafür sind 18 mitochondriale Proteine zuständig, die in der mitochondrialen Matrix das sogenannte ISC-System (iron-sulfur-cluster assembly) bilden. Die Proteine des ISC-Systems haben einen bakteriellen Ursprung und wurden während der Endosymbiose des Ur-Mitochondrions mit übernommen [32]. Das mitochondriale ISC-System ist nicht nur für die Herstellung der mitochondrialen Fe-S Proteine verantwortlich. Durch die Bildung eines schwefelhaltigen Faktors, der aus den Mitochondrien exportiert und im Cytosol für die Herstellung aller Fe-S Proteine im Cytosol und im Zellkern benötigt wird, ist das mitochondriale ISC-System für die Bildung aller Fe-S Proteine der Zelle unerlässlich [32]. Das ist der wahre Grund, warum Mitochondrien für eukaryotische Zellen überlebenswichtig sind.
Wie anfangs erwähnt werden Mitochondrien meistens wie eine Art Kaffeebohne dargestellt. Obwohl eine Zelle mehrere hundert Mitochondrien besitzen kann, liegen diese nur selten einzeln vor. Neuere Mikroskopieverfahren haben offenbart, dass Mitochondrien innerhalb der Zelle ein verzweigtes, dynamisches Netzwerk ausbilden [33]. Dynamisch meint hierbei, dass das Netzwerk einem stetigen Umbau unterworfen ist, bei dem zuvor vereinzelte Mitochondrien dem Netzwerk hinzugefügt werden oder Mitochondrien vom Netzwerk abgetrennt werden. Kommen die Mitochondrien in der Zelle eher vernetzt vor, spricht man von tubulären Mitochondrien; löst sich das Netzwerk auf und die Mitochondrien liegen eher vereinzelt in der Zelle vor, spricht man von fragmentierten Mitochondrien. Ein funktionierendes Netzwerk ist für die Gesundheit der Zelle entscheidend [34]. Das Zusammenfügen und Abtrennen von Mitochondrien befindet sich in einer gesunden Zelle im Gleichgewicht, da beide Prozesse eine Art Qualitätskontrolle für die Mitochondrien darstellen [30]. Fusionieren Mitochondrien miteinander, fördert das den Austausch ihrer mitochondrialen DNA. Das hat den Vorteil, dass sich eventuell angehäufte, schädliche Genmutationen im Genom eines Mitochondrions im Mitochondrien-Netzwerk verteilen und in der Masse gesunder Mitochondrien-Genome verdünnt werden. Auf diese Weise wird das Anhäufen schädlicher Genmutationen verhindert [35, 36]. Kommt es in der Zelle zu Knappheit an Nährstoffen oder einer erheblichen Menge schädigender ROS, reagieren die Mitochondrien darauf mit „Hyperfusion“. In einem solchen Status liegen Mitochondrien ausschließlich als tubuläres Netzwerk vor. Hierdurch können sie ihre ATP-Produktion steigern, verhindern den Abbau einzelner Mitochondrien und sichern das Überleben der Zelle [37, 38]. Das Abspalten von Mitochondrien vom Netzwerk ist wichtig, um defekte Mitochondrien aus der Zelle entfernen zu können. Dieser Vorgang wird Mitophagie genannt und dient dazu, Mitochondrien aus der Zelle zu entfernen, die zu stark durch ROS geschädigt wurden oder aufgrund von Alterungsprozessen funktionsuntüchtig geworden sind. Der Abbau von Mitochondrien kann aber auch entwicklungsbiologische Zwecke haben. So werden beispielsweise die Mitochondrien in roten Blutkörperchen komplett abgebaut, da sie in dieser Zelle, die so viel Platz wie möglich für den Sauerstofftransport haben soll, nicht gebraucht werden. Ein weiteres Beispiel ist der Abbau der vom Vater weitergegebenen Mitochondrien in der befruchteten Eizelle. Hierbei werden spezifisch die väterlichen Mitochondrien aus der Zelle entfernt, was dazu führt, dass beim Menschen alle Mitochondrien stets von der Mutter vererbt werden. Mitophagie ist mit einem zellulären Recycling-Prozess vergleichbar, bei dem die Bestandteile der zerlegten Mitochondrien für andere Zwecke wiederverwendet werden [39]. Das Abspalten von Mitochondrien hat noch weitere wichtige Funktionen. Zum einen müssen Mitochondrien bei jeder Zellteilung an die neu entstehende Tochterzelle weitergegeben werden, denn sie können nicht „aus dem Nichts“ von der Zelle gebildet werden. Dafür muss das Mitochondrien-Netzwerk zuvor aufgelöst werden. Außerdem ist das Abspalten einzelner Mitochondrien wichtig, um diese innerhalb der Zelle transportieren zu können. Beispielsweise können Nervenzellen über einen Meter lang werden. Damit ein Mitochondrion innerhalb der Zelle auch an das letzte Ende der Zelle gelangen kann, um dort ATP bereitzustellen, muss es zunächst vom Netzwerk abgetrennt werden. Kaputte Mitochondrien, zum Beispiel ausgelöst durch angeborene Genfehler, verhindern Fusions-Prozesse und führen zu einem fragmentierten Mitochondrien-Netzwerk [30]. Auf diese Weise können defekte Mitochondrien durch Mitophagie aus der Zelle entfernt werden. Auch der von den Mitochondrien gesteuerte, programmierte Zelltod (Apoptose) benötigt ein vorheriges Auflösen des Netzwerks in vereinzelt vorliegende Mitochondrien [40]. Zahlreiche Proteine sind bekannt, die am Zusammenfügen oder Abtrennen von Mitochondrien beteiligt sind oder die beiden Prozesse im Gleichgewicht halten. Viele Krankheiten können auf Fehler in der Dynamik des Mitochondrien-Netzwerks zurückgeführt werden [28, 34].
Mitochondrien unter dem Fluoreszenzmikroskop
Lange dachte man, Mitochondrien liegen vereinzelt als runde order kurze stäbchenförmige Organellen in der Zelle vor. Erst zu Beginn der 1990er Jahre musste diese Meinung korrigiert werden, als angefärbte Mitochondrien unter dem Fluoreszenzmikroskop eine Netzwerk-artige Struktur aufwiesen [33]. Mittlerweile weiß man, dass dieses Netzwerk dynamisch auf den Stoffwechsel und die Gesundheit der Zelle reagiert; Das Mitochondrien-Netzwerk kann tubulär und verzweigt sein oder fragmentiert, bei dem die Mitochondrien vereinzelt vorliegen.
Ein Live-Video gibt es hier.
Bild: Menschliche HeLa Zellen unter dem Fluoreszenzmikroskop. Angefärbt ist das Protein TOMM20, das in der äußeren mitochondrialen Membran sitzt. Links, "Normalzustand"; rechts, Zellen, denen das mitochondriale Enzym YME1L fehlt.
Einzelne Mitochondrien sind gerade einmal wenige Mikrometer groß und werden häufig ausschließlich für ihre Rolle als Energieproduzenten der Zelle erwähnt. Bei genauerer Betrachtung sind Mitochondrien weit über ihre Funktion als zelluläres Kraftwerk überlebenswichtige Bestandteile der eukaryotischen Zelle, wobei nicht nur die von ihnen ausgeführten Aufgaben entscheidend sind, sondern auch ihre dynamische Verteilung innerhalb der Zelle.
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